Bei der Silberhochzeit meiner Mama mit meinem Stiefvater:
Tante Anna und ich

Nach meinem schweren Unfall im Juli 1960 auf dem Bauernhof verblieb ich noch ca. zwei Monate im Grazer Kinderspital zur laufenden, ärztlichen Beobachtung. Ich bekam ein Einzelzimmer, das war zu dieser Zeit völlig unüblich.

Gleichzeitig wurde eine Religionslehrerin für mich zur Verfügung gestellt, die von allen nur mit „Tante Anna“ angesprochen wurde. Es war eine ca. 60 Jahre alte, adelige Dame (Anna von Henneberg-Paungarten war ihr vollständiger Name), die mehr um mein seelisches Wohlbefinden bemüht war als bei den anderen Kindern. Die einfühlsame, hochgebildete Dame war meine wichtigste Kontaktperson und sollte für mich darüber hinaus viele weitere Jahre eine treue Lebensbegleiterin bleiben.

Eines Tages besuchte mich Tante Anna im Kinderspital und übergab mir ein braun verschnürtes Paket, darin war ein Buch, ein Geschenk für mich, es war „Das Tibetanische Totenbuch“. Mein erstes eigenes Buch – Hurra!!! Jetzt konnte ich die langen Tage und noch längeren Nächte mit Lesen ausfüllen!!!

Doch sollte ich mein Buch vor anderen Augen verstecken, sagte mir Tante Anna. Und mit niemandem darüber sprechen, außer mit ihr. Deshalb verwahrte ich das Buch gut. Das geheime Buch war nun mein größter Schatz. Damit das Buch nicht von den Krankenschwestern entdeckt wurde, konnte ich nur nachts ungestört lesen.

Damit ich eine Nachttischlampe bekommen konnte, musste ich die Stationsschwester täuschen und sagen, dass ich nachts Licht brauche, weil ich im Dunkeln Angst habe. Ich weiß, dass sie mir keinen Glauben schenkte, aber durch die Unterstützung von Tante Anna bekam ich eine Nachttischlampe in mein Einzelzimmer gestellt. Jetzt konnte ich in Ruhe und ungestört die ganze Nacht lesen. Zum Schlafen konnte ich ungeniert den helllichten Tag nutzen.

Meine Tante Anna hatte viele Stunden während meines 7-tägigen Komas an meinem Bett gesessen. Sie betete und hatte häufig meinen Namen „Helmut” laut ausgesprochen, sogar gerufen.

Ihr tiefgründiges Wissen war ihr hilfreich, als „Eingeweihte des Tibetanischen Totenbuches” mich, als ihren gelehrigen Schüler, zu höheren Dimension zu geleiten. Sie bezeichnete mich deshalb als ihr „Gotteskind”, weil ich auch stets glaubte ein Gotteskind zu sein. Sie war fest davon überzeugt, dass ihre Gebete von Gott erhört würden. Ebenso war sie fest davon überzeugt, dass die Liebe in Form von starken, positiv anhaltenden Gefühlen und bewusster bildhafter Vorstellung – so als wäre schon alles vollbracht, eine positive Auswirkung haben muss.

Sie hatte recht behalten!